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Schreiben, malen, fotografieren... spiegeln und stabilisieren einen selbst

  • Autorenbild: Anja Kollwitz
    Anja Kollwitz
  • 7. Nov.
  • 2 Min. Lesezeit

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Wer ein Gedicht schreibt, ein Bild malt, fotografiert oder komponiert, aktiviert seine inneren hilfreichen Bilder und wendet sie nach außen. Er stellt sie sich gegenüber. Sie spiegeln und stabilisieren sein Selbst – und wirken wie ein schützendes und haltendes Gegenüber.
In künstlerischen Gestaltungsprozessen werden die früh verinnerlichten Spiegelungen aktiviert. Der aktuelle seelische Zustand verbindet sich mit einem selbststärkenden, stabilisierenden Symbol. Auf diese Weise läßt er sich integrieren und wirkt nicht mehr überwältigend.
Ein Gedicht oder ein Bild „dient als Gegenüber oder Spiegel, in dem ein Mensch sich und seine Eigenwelt wieder erkennt.

„Das gestaltete Werk übernimmt die Rolle der Spiegelung“, so die Kunsttherapeutin Renate Limberg.
Wer schreibt, faßt seine persönlichen inneren Bilder in Worte. Wer malt, gestaltet seine inneren Bilder. So errichtet er sich ein spiegelndes Gegenüber. Das braucht er, um seelisch zu überleben. Denn es ist ein angeborenes Bedürfnis des Menschen, sein Innen im Außen sensibel gespiegelt zu sehen. Seelisch feinfühlige Kunst und Literatur kann dieses Bedürfnis erfüllen.
Gerade angesichts von Hoffnungslosigkeit, Trauer und herabgestimmtem Selbstwertgefühl ist schöpferisches Gestalten unbedingt notwendig - und wird als notwendend erlebt.
Der Schreibende bewahrt seine Würde als Mensch, indem er angesichts einer momentan fühlenden Hoffnungslosigkeit das, was er empfindet und wofür er noch keine Worte hat, in eine poetische Gestalt faßt.

Trauer kann seelisch unerträglich sein kann, wenn ein Mensch keine innere Welt des Trostes in sich gestalten kann. Um nicht zu verzweifeln, ist es notwendig, hilfreiche innere Bilder und Worte zu aktivieren und sie im Gestaltungsprozess nach Außen zu bringen.
Mit ihrer Hilfe kann sich ein Mensch aus einer extrem belastenden Situation selbst herauslösen.
Seelische Repräsentanzen sind wichtig, sie vermitteln Sicherheit und Halt. Wie ein „sicherer innerer Ort“ und eine „helfende Gestalt“. Schöne Texte, Gemälde, Bilder, Kunstwerke können dem Menschen Bilder anbieten, in denen er seine seelische Situation gespiegelt sieht. Das vermittelt ihm das wertvolle Erleben, feinfühlig verstanden und getragen zu werden. Daraus bezieht die menschliche Psyche ihre Lebens- und Überlebenskraft.

Das Bedürfnis nach Spiegelung und Passung von Innenwelt und Außenwelt ist eine treibende Kraft. Der Wunsch nach Einklang zwischen seiner Innenwelt und seinem Gegenüber, seiner Außenwelt ist jedem Menschen angeboren. Von der ersten Minute seines Lebens hat ein neugeborener Mensch das Bedürfnis nach sensorischer, visueller und akustischer Zuwendung. Bereits vor seiner Geburt wartet das Kind auf klangliche Reize und Bewegungsimpulse. Es ist aufmerksam auf die Tagesrhythmen der Mutter und die Laute ihrer Stimme. Denn nur durch diese Wahrnehmungsreize entwickeln sich die Sinnesorgane des Kindes: `Ich höre etwas – also bilde ich ein Ohr aus, um damit zu hören. Ich nehme Lichtreize wahr, also bilde ich ein Auge aus, um damit zu sehen ́.
Austauschende Intensität zwischen Innen und Außen ist ein Lebensprizip des Menschen. Nach seiner Geburt ist er biologisch darauf angewiesen, nahezu ständig sicherheitsgebenden Kontakt zu haben, um Zustände von hoher Intensität zu regulieren.

Sofort beruhigt zu werden ist wichtig, um sich nicht über lange Zeit hinweg in negativen Zuständen zu erschöpfen. Diese Bedürfnisse sind seit der Frühzeit der Menscheitsgeschichte dieselben geblieben. Das Erleben von Spiegelsymmetrie und Resonanz zwischen Innen und Außen – genau das erwartet der Mensch auch von einen Gedicht, einem Bild, einem Musikstück oder einem Gemälde. Er sucht darin ein feinfühlig spiegelndens Gegenüber. Das Bedürfnis, seelisch gespiegelt zu werden, ist ihm angeboren.

Diana Staudacher

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