Traumaheilung, das innere Kind, Bewusstsein Anja Kollwitz
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Trauma und Sexualität
Anja Kollwitz
3. Nov.
4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Nov.
Sex und Trauma. Wie nach traumatischen Erfahrungen eine lustvolle Sexualität gelingen kann, ist eine Mischung aus Wissen um die Mechanik unseres Körpers und aus Versuch und Irrtum. Es werden Geschlechtsteile geleckt, massiert und mit Sexspielzeug bearbeitet. Die heißesten Klamotten werden getragen, Brüste operiert und Muskeln aufgebaut. Es wird in allen Stellungen gevögelt, mit den raffiniertesten Techniken versucht sexuelle Hitze zu erzeugen und mit erotischem Bildmaterial die Synapsen im Hirn befeuert. Je nach sexueller Identität wird tantrisch im Yab Yum Sitz Feuer geatmet, werden im Swinger-Club die Partner getauscht oder auf Sex-Partys beim Gang-Bang die
Kopulationsfrequenz maximiert. Oder es wird das gemacht, was man schon immer sonntagmorgens im ehelichen Schlafzimmer macht. Wie Bratkartoffeln. Immer gleich. Immer lecker. Mit Erfolg? Mal mehr, mal weniger. Mal bringt ein neues Spiel oder ein neues Spielzeug die Akteure in Stimmung, mal versagen die gebündelten Aktivitäten und die sexuelle Lust lehnt die Einladung ab, sich in ihrer vollen Blüte zu entfalten. Hilft zu Beginn einer sexuellen Beziehung das körpereigene Hormon Dopamin der Lust auf die Sprünge und kompensiert Dissonanzen und Fragmentierungen, drängeln sich im Laufe der Zeit die unbearbeiteten Themen in den Vordergrund und das Trauma gewinnt wieder die Oberhand. Was tun? Das ist eine der vielen Fragen, die mir in meiner Praxis für Sexualität, Trauma & Partnerschaft begegnen. Trauma erzeugt Lustlosigkeit, Scham und Leere.
Trauma ist der natürliche Feind der Lebendigkeit. Ein Trauma zu haben bedeutet, dass eine überwältigende Erfahrung der Vergangenheit das Erleben in der Gegenwart dominiert. Und manchmal ist das so stark, dass ein freudvolles Leben nicht mehr vollumfänglich möglich ist. Und das betrifft dann natürlich auch die Sexualität. Denn genau da brauchen wir ein gesundes und flexibles Nervensystem. Was tun, wenn alles getan wurde, um eine lustvolle Sexualität zu entwickeln, sich aber die Freude daran einfach nicht einstellen will? Dann geht das häufig einher mit einem Gefühl von großer Scham. Nicht gut zu sein. Nicht zu funktionieren. Einen Fehler zu haben. Dem Partner oder der Partnerin nicht zu genügen. Nicht mitreden zu können. Es entsteht ein Gefühl von Leere, von Mangel und von Unverbundenheit. Wenn sich die sexuelle Energie des Menschen nicht entfalten kann, bleibt ein kraftvoller Teil von uns ungelebt.
Die Scham darüber ist oft so groß, dass das Thema ganz schnell wieder verdrängt wird. Manche begeben sich aber auf eine Forschungsreise. Denn wenn das Trauma die sexuelle Erregung blockiert, braucht es Informationen, Mut, Ausdauer und ein paar richtige Entscheidungen, damit der Genesungsprozess initiiert werden kann. Der Feind der Lebendigkeit ist das Trauma. Um sexuelle Lust zu empfinden, muss der menschliche Körper schwingen können, wie ein Instrument. Ein weicher Körper, ein flexibles Nervensystem und ein ruhiger Geist sind die Voraussetzungen um sexuelle Energie zu beherbergen. Damit sie entstehen und bleiben kann. Damit die Liebenden die Gelegenheit haben, die eigenen Schwingungen mit den Schwingungen des Gegenübers zu verbinden. Dazu braucht es die Fähigkeit, sexuelle Energie aufzubauen und zu halten. Der Körper wird bei diesem Prozess warm und vibriert. Die Sinne öffnen sich.
Trauma tötet Lust. Durch Traumatisierung ist die Schwingungsfähigkeit beschädigt worden oder ganz verloren gegangen. Sexuelle Erregung kann nicht mehr von innen heraus oder durch freundliche Einladungen entstehen. Der Mensch bleibt kalt. Das Nervensystem ist erstarrt. Wie eine gefrorene Gitarrenseite. Oder die Person befindet sich durch Traumatisierung in einem dauernden Zustand der Übererregung. Dadurch kann die sexuelle Energie zwar in Erscheinung treten, sich aber nicht entfalten. Es ist einfach viel zu viel Energie im menschlichen System. Vorzeitige Ejakulationen, ein Zustand von Unzufriedenheit und Leere, trotz Orgasmen, sind die Folge. Wenn die viel zu starke Erregung des Menschen während der sexuellen Aktivität nicht mehr gehalten werden kann, sucht sie sich einen anderen Kanal zur Entladung. Dauergequassel im Bett, gedankliche Überbeschäftigung mit dem nächsten choreografischen Schritt beim Liebesspiel sind mögliche Symptome dieser Dysbalance.
Ein häufiges Symptom von Traumatiserung ist die Dissoziation. Besonders beim Sex. Die Person hat dann das Gefühl, “nicht richtig da zu sein”. Die Gedanken sind sonstwo, aber nicht bei der Sache. Der Körper fühlt sich gefühllos an oder total überreizt. Die Emotionen spielen verrückt oder machen Urlaub auf Planet Lalaland. Alles ist viel zu viel und viel zu wenig gleichzeitig. Weitere Lustkiller sind Eifersucht und Trennungsphantasien, die im Kontext von Trauma als Muster in Erscheinung treten.
Dysfunktionale Nähe-Distanz-Regulation, Reinszenierung von Entwicklungstraumata und die Aktivierung von alten Schamgefühlen sind weitere unangenehme Erfahrungen. Das sind nur ein paar Beispiele. Es gibt noch viel mehr.
Die an der gemeinsamen Sexualität beteiligten Partner (ich gehe jetzt mal klassischer Weise von zweien aus, aber die Zahl der in Polyamorie lebenden Menschen nimmt beständig zu) müssen in schwingungsfähig sein, um mit dem anderen in eine sexuelle Resonanz zu kommen, um gemeinsam ein energetischer Körper zu werden. Wenn einer der Tanzenden plötzlich stehen bleibt oder die Tanzfläche verlässt, klappt´s nicht. Es gibt auch symbiotische Formen des gemeinsamen Schwingens, bei der ein Partner sehr wenig schwingt und der andere in einem Zustand der Übererregung ist. Bei dieser Konstellation regulieren sich beide über den jeweils anderen, schwingen aber nicht wirklich miteinander. Es ist dann so, dass einer das Übermaß an Energie des anderen nutzt, um selbst in Schwingung zu kommen. Der andere nutzt das Energiedefizit, um seine übermäßige Energie abzuleiten. Das ist dann eine Form, ein Traum(a) Paar zu sein. Es gibt aber noch viele andere Varianten.
Die Lösung des Dilemmas liegt im Wiederfinden unserer inneren Balance. Die Bearbeitung des eigenen traumatischen Materials ist ein wesentlicher Schlüssel. Dabei ist es eher unerheblich, welche Ursachen unsere persönlichen Traumata haben. Entscheidend ist die Wiederherstellung der natürlichen Flexibilität unseres Nervensystems. Die Wiederherstellung unserer vollen Empfindungsfähigkeit. Sind andere Menschen an unseren Traumata als Verursacher beteiligt, haben wir es mit einer komplexen Situation zu tun, weil Vertrauensverluste und Enttäuschungen bearbeitet werden müssen. Ist sexualisierte Gewalt ursächlich für die Traumatisierung, muss differenziert werden zwischen Gewalt und Sexualität. Das bedarf etwas erhöhter Aufmerksamkeit. Und manchmal auch Durchhaltevermögen und Geduld. Je mehr Ähnlichkeiten zwischen der traumatisierenden Situation und der erwachsenen Sexualität in Erscheinung treten, desto mehr und umso heftigere „Trigger“ werden bei sexuellen Aktivitäten ausgelöst.
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